Der 9. April ist in Kolumbien der Tag des Gedenkens an die Opfer des bewaffneten Konfliktes und seit Jahren Datum großer Friedensmärsche. Auch an diesen Samstag gingen im ganzen Land Menschen auf die Straße, um ihre Stimme für den Frieden zu erheben. Zum Friedensmarsch riefen etliche soziale Organisationen mit den Hauptforderungen nach einem beidseitigen Waffenstillstand und einem Frieden mit sozialer Gerechtigkeit auf.
Nachrichtentext bei Blickpunkt Lateinamerika
Schwindender Rückhalt für den Friedensprozess
Im Vergleich zum letzten Jahr gingen am Samstag wesentlich weniger Menschen auf die Straße. Sprachen die großen kolumbianischen Medien 2015 von einigen hunderttausend Teilnehmern, ignorierten sie die Märsche dieses Jahr komplett. Die schwindenden Teilnehmerzahlen lassen auch Rückschlüsse auf die generelle Stimmung im Land zu. Während letztes Jahr die Euphorie von einem baldigen Abschluss der Verhandlungen zu spüren war, scheint jetzt die Skepsis gegenüber dem Friedensprozess mit jedem Tag zu wachsen. Der Rückhalt von Präsident Santos, der den Marsch in Bogotá anführte, wird immer kleiner. Eine Woche vorher fand eine vom rechten Ex-Präsidenten Álvaro Uribe angeführte landesweite Demonstration gegen den Friedensprozess statt – mit wesentlich größerer Beteiligung. Alleine in Medellin berichtet die kolumbianische Tageszeitung El Espectador von 80.000 Teilnehmern.
Angst vor Paramilitarismus wächst
Ein weiterer Grund für die geringer werdende Beteiligung ist die immer brutaler werdende Gewalt paramilitärischer Gruppierungen. Gerade die Aktivisten der Friedensmärsche von „Marcha Patriótica“ und anderer sozialer Organisationen wurden in den letzten Monaten gezielt ermordet und massiv bedroht. „Marcha Patriótica“ Wortführerin und Ex-Senatorin Piedad Córdoba entging letzte Woche nach eigenen Angaben nur knapp einem Attentat. „Ich konnte den Anschlag nur wie durch ein Wunder überleben. Wir zählen jetzt 115 Ermordete in den letzten Jahren, wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen, oder an wen wir uns wenden können“, äußerte sie sich gegenüber der kolumbianischen Presse. Dem kolumbianischen Staat wird Untätigkeit vorgeworfen.
Paramilitärische Machtdemonstration in weiten Teilen des Landes
Während Präsident Santos das Thema weitgehend ignoriert, betonen die Sprecher der FARC in einem Kommuniqué am 6ten April, dass es mit paramilitärischer Präsenz keinen Frieden geben könne. Nur wenige Tage vorher demonstrierten die Paramilitärs in weiten Teilen des Landes ihre Macht. Die Gaitán-Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AGC) legten in 36 Landkreisen tagelang das öffentliche Leben lahm und befahlen in einem Drohschreiben einen „Streik“: niemand durfte sein Haus verlassen, Schulen, Läden und öffentliche Einrichtungen blieben geschlossen. Brennende Autos und Straßensperren prägten das Bild in den Regionen, 5 Mitglieder der Sicherheitskräfte und mindestens ein Zivilist wurden getötet.
Die paramilitärische Machtdemonstration fand einen Tag nach der Aufnahme der Friedensgespräche mit der zweiten kolumbianischen Guerillagruppe, der ELN, statt. In ihrem Schreiben definieren sich die AGC ganz deutlich als politische Gruppe und betonen, dass sie prinzipiell einen Frieden unterstützen. Es stellt sich die Frage, ob die Machtdemonstration ein Ruf nach Aufmerksamkeit ist, um auch noch von den Friedensverhandlungen zu profitieren.
Foto: Ariel Arango
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